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NZZ Bellevue: Biodynamie – Hokuspokus mit Kuhhörnern?!?

ALTERNATIVER WEINBAU

Winzerin Francisca Obrecht: «Biodynamie fördert die Entfaltung des individuellen Standorts»

Text: Weinkeller | Peter Keller | 11.2.2021

Francisca und Christian Obrecht arbeiten auf ihrem Weingut in Jenins biodynamisch – aus Überzeugung. Im Interview erklärt die Winzerin, warum die alternative Landwirtschaft und der Einsatz von Hornmist nichts mit Hokuspokus zu tun haben.

Peter Keller: Francisca Obrecht, warum setzen Sie auf die Biodynamie?

Mein Mann und ich haben 2006 das Familienweingut übernommen mit dem Ziel, die Harmonie von Pflanze und Umwelt zu fördern. Daher bedienen wir uns der biodynamischen Methode. Dergestalt produzierte Weine zeichnen sich durch grössere Eigenständigkeit, Frische und Bekömmlichkeit aus. Das ist unsere feste Überzeugung.

 

Ist das auf konventionelle Art und Weise nicht möglich?

Ich stelle nicht in Abrede, dass auch konventionelle Winzer hervorragende Weine produzieren. Dafür braucht es auch in diesem Fall Hingabe und Aufmerksamkeit im Produktionsprozess. Die biodynamische Arbeitsweise nach Demeter jedoch geht weiter und fördert mit seinen Theorien, Methoden und Thesen schlicht die Entwicklung und Entfaltung des individuellen Standorts. Zudem wird das Sensorium des Winzers geschult. Wir verzichten auf chemisch-synthetische Hilfsmittel, was ich persönlich als einen Mehrwert empfinde.

 

Warum wird die biodynamische Methode oft kritisiert, ja gar diffamiert?

Wer so produziert, nimmt primär eine beobachtende Haltung ein. Diese muss nicht jeder teilen. Das Prinzip der sogenannt vertikalen Landwirtschaft des Anthroposophen Rudolf Steiner besagt indessen, dass jeder Hof aufgrund seines einmaligen Standorts auf der Erde einen individuellen Charakter hat, den es zu stärken gilt. Nur so kann man möglichst individuelle Produkte generieren – in unserem Fall Wein.

 

Was bedeutet einen individuellen Charakter?

Diesen prägt das vielbeschworene und vielzitierte Terroir, also das einmalige Zusammenspiel von Boden, Klima, Mikroklima und Exposition des Rebbergs, der gewählten und idealerweise standorttypischen Rebsorten und Klone und den Menschen, die auf dem Gut arbeiten. Aus dieser Idee versucht ein Demeter-Winzer möglichst, seinen Standort und seinen Rebberg in seiner Einmaligkeit abzubilden.

 

Im Herbst werden Kuhhörner mit Mist vergraben, um so ein Hornmist-Präparat zu erhalten, das im Frühling eingesetzt wird. Welche Aufgabe kommt diesem Präparat zu?

Damit wird die mit der Erwärmung der Erde einsetzende Bodenaktivität mit einem Impuls unterstützt und die Verfügbarkeit der organischen Nährstoffe verbessert. Die Rebe braucht für den Austrieb eine enorme Kraft respektive viele Nährstoffe. Auf konventionelle Art geschieht dies mit dem Einsatz eines stickstoffhaltigen Kunstdüngers. Es muss aber warm und feucht sein, sonst wirkt der Dünger nicht.

 

Und Sie bringen stattdessen das Hornmist-Präparat aus?

Ja. Es handelt sich um eine wässrige Kompost-Lösung, die reich an Bodenpilzen und Mikroorganismen ist. Diese wird auf der Grasnarbe des Weinbergs tröpfchenweise verteilt. Mit den Frühlingsniederschlägen und der gleichzeitigen Erwärmung des Bodens durchdringt via Vermehrung die ausgebrachte Mikrofauna den Boden von der Oberfläche in die Tiefe und erhöht so die am Standort gegebene Aktivität, damit die im Boden verfügbaren Nährstoffe für die Pflanzen verfügbar werden.

 

Der Einsatz von solchen Präparaten wird von Kritikern als «Hokospokus» bezeichnet. Ist das wahr?

Wir setzen das ein, um einen guten Austrieb und einen gelungenen Start der Vegetationsperiode zu erreichen. Damit wird auf indirekte Weise der Boden aktiviert. Das ist reine Biochemie –was daran Hokuspokus, Marketing oder Verschwörung ist, bleibt mir schleierhaft. Und noch etwas: Das Kuhhorn ist ein idealer Verrotungsbehälter, porös und reich an Stickstoff. Dieser fördert die Umwandlung von Kuhmist zu Kompost während der Ruhe in der Erdgrube im Winter. Im Boden ist es bekanntlich feucht. Und es sind bereits zersetzende Organismen vorhanden, so dass wir im Frühling eine aktive Kultur ausgraben.

 

Gehen Sie mit der biodynamischen Arbeitsweise auch höhere Risiken ein?

Ja, die alternative Landwirtschaft riskiert bei mangelnder Beobachtung Totalausfälle. Der konventionelle Weg dagegen sorgt für garantierte und zuverlässige Erträge und somit für Ernährungssicherheit. Er belastet indessen die Umwelt mit Rückständen in Wasser und Lebensmitteln. Bio und biodynamische Methoden dagegen fördern Natur und Umwelt. Und klar: Wissenschaftlich pragmatisch gesehen wird uns gelegentlich auch eine etwas schräge Weltanschauung unterstellt. Damit kann ich leben, wenn ich das Resultat in unseren Weinflaschen sehe.

–> zum Original Interview mit Peter Keller