Wein muss sein!
Nur für sich selber kochen Francisca und Christian Obrecht kaum je. Wochentags sitzen die Angestellten des Weinguts in Jenins GR mit am Mittagstisch. Und sonntags kommen die Junioren, die auswärts studieren, gern zum Essen. Kein Wunder, dass die Küche im ehemaligen Gasthaus zur Sonne profimässig ausgestattet ist.
Text: Anita Lehmeier; Fotos: Nik Hunger; Quelle: Gault Millau Gourmet-Interview, Schweizer Illustrierte, Dezember 2024
Gratulation: Ihr Brut Nature Blanc ist jetzt weltberühmt!
— Christian Obrecht: Sie meinen, weil er im Herbst bei der Falstaff-Sparkling- Trophy den ersten Platz bei den Schweizer Schaumweinen geholt hat? Dieses Lob freut uns natürlich sehr, es ist eine schöne Wertschätzung unserer Arbeit. Aber ob die Auszeichnung für Weltberühmtheit reicht, würde ich bezweifeln.
Der Brut Nature Blanc wurde immerhin diesen Sommer an der Friedens- konferenz für die Ukraine auf dem Bürgenstock serviert. 33 Staatspräsidenten, Hunderte von Politikerinnen und Diplomaten aus aller Welt haben Ihren perlenden Chardonnay zum Apéro beim Galadiner getrunken. Hochklassiger und globaler geht kaum.
— Francisca Obrecht: Wir sind glücklich, wenn unsere Weine in der Schweiz getrunken und geschätzt werden. Und ja, wir mögen den Brut Nature Blanc, den wir seit 2018 produzieren, selber auch sehr gern.
Trinken Sie als Profis jeden Tag Wein?
— Christian Obrecht: Selbstverständlich! Ein Glas Wein gehört bei uns einfach zum Essen und auch schon zum Kochen. Als Winzer verbinden wir damit elegant Arbeit und Genuss. Wir trinken von unserem eigenen Wein – wir wollen und müssen ja wissen, was wir verkaufen! Natürlich probieren wir auch Produkte von anderen Herstellern. Und wenn wir wissen, dass nach dem Essen eine Autofahrt oder die Arbeit an einer Maschine ansteht, bleibts dann bei ein paar Probeschlucken.
Sie betonen, dass Sie beim Job alles gemeinsam tun: in den Reben, im Keller. Gilt das auch für die Küche? Kochen Sie zusammen?
— Francisca Obrecht: Grundsätzlich sind wir Teamworker, arbeiten Hand in Hand. Ich bin beim Winzern schwerpunkt-mässig für die Rebberge verantwortlich, Christian für den Keller. Wir kochen beide gern und sind oft gemeinsam in der Küche zugange, teilen uns im Alltag aber den Lead: Meist ist Christian dreimal die Woche der Chef und ich zweimal. Wochentags sind wir meist zu siebt oder zahlreicher am Mittagstisch, da unsere Angestellten mit uns essen. Während der Erntezeit sind wir schon mal 30 Leute, dann wird in unserer Bistroküche gekocht. Währschaftes wie Hackbraten, Fleischkäse, Gerstensuppe, Voressen. Am Wochenende gehört die Küche jeweils mir, dann bringen mich keine zehn Pferde vom Herd weg. Am Sonntag ist Kochen für mich ein Kürlauf, dann probiere ich Neues aus. Oft sind dann unsere Kinder da, die alle auswärts studieren oder eine Lehre machen.
Wer kocht besser?
— Francisca Obrecht (nach kurzem höflichem Schweigen): Vielleicht koche ich noch ein bisschen lieber als mein Mann. Aber besser? Das müssten unsere Gäste beurteilen. Das sind übrigens immer sehr dankbare Esser. Mit solchen Gästen macht Kochen noch mehr Freude.
— Christian Obrecht: Francisca kochte schon in der WG, in der wir beide als Studenten wohnten. Ich sorgte damals für den Einkauf und überliess das Kochen mit der Zeit lieber ihr.
Wo haben Sie kochen gelernt?
— Francisca Obrecht: Bei meiner Mutter. Sie ist eine grossartige Köchin und legte die Messlatte für mich hoch. Während meines Studiums jobbte ich bei einem Metzger im Partyservice. Da habe ich gelernt, in grossen Mengen zu planen und zu kochen. Ich bin in Gran Canaria aufgewachsen, bis zum 14. Lebensjahr. Frischer Fisch und Meeresfrüchte gehören zu den Aromen, die meine Kindheit geprägt haben. Fisch bereite ich heute nur noch in den Ferien zu, die wir gerne am Meer verbringen. Die Leidenschaft fürs Meer und fürs Kitesurfen bestimmt denn auch die Feriendestinationen. Wenn es uns nicht ans Wasser zieht, dann in die Berge.
Gibt es Parallelen zwischen der Weinproduktion und dem Kochen?
— Francisca Obrecht: Zuerst die Voraussetzung, dass man an beides mit voller Kraft und tiefer Überzeugung herangehen sollte. Ohne inneres Feuer kann nichts Gutes dabei herauskommen. Und am Schluss sollen ja Wein und Essen ein Genuss sein. Der grosse Unterschied liegt darin, dass ich beim Kochen laufend kreieren und korrigieren kann. Und wenn mal etwas schiefgeht, hält sich der Schaden in Grenzen. Dann gibts halt Brot und Käse. Weinmachen dagegen ist in die ferne Zukunft gerichtet. Was ich heute tue, zeigt sich als Resultat erst in einem Jahr. Und Patzer lassen sich im Nachhinein nicht mehr ausbügeln. Die Summe der Chancen, zu reüssieren, ist also sehr limitiert, nämlich gerade einmal jährlich – während ich beim Kochen täglich von Neuem die Gelegenheit erhalte, mit meinem Tun Erfolg zu haben.
— Christian Obrecht: Eine Parallele zwischen Winzern und Kochen besteht darin, dass man mit Naturprodukten arbeitet, mit dem, was der Boden hergibt. Das gilt besonders für den biologisch-dynamischen Anbau, den wir seit 2013 betreiben. Die Grundidee der naturnahen Produktion umfasst auch unseren Garten, wo wir allerlei Gemüse, Salat und Kräuter ziehen. Handwerk, Naturnähe und Innovation sind die drei zentralen Begriffe, die unseren Betrieb auszeichnen. Und was für das Weinmachen gilt, das gilt eben auch für die Küche.
Die zum Essplatz offene Küche nimmt viel Platz ein.
— Francisca Obrecht: Kochen und Essen, der Genuss und die Gemeinschaft haben in unserem Alltag einen grossen Stellenwert. Bei der Planung und Umsetzung der Küche hat uns das Architekturbüro Bearth & Deplazes unterstützt und unsere Wünsche Wirklichkeit werden lassen. Die Montage der mächtigen schwarzen Platte aus poliertem Beton war eine Herausforderung – es brauchte einen Kran dafür.
— Christian Obrecht: Mein einziger Wunsch war eine Wärmeschublade. So ein richtiges Profi-Ding. Schliesslich war das Haus von anno 1720 lange Zeit ein Gasthaus, das «Haus zur Sonne». Das antike Beizenschild hängt in unserem Weinkeller. Meine Grossmutter hatte einst die geniale Idee, diese Sonne als Logo für die Etiketten zu übernehmen. Noch heute lacht diese Sonne von jeder unserer Flaschen.
Wo gehen Sie gern essen?
— Francisca Obrecht: Wir mögen Landbeizen wie das «Rätia» in Jenins oder das «Falknis» in Maienfeld. Da viele Top-Köche unsere Weine schätzen, kommen wir auch regelmässig in den Genuss von Punkteküchen, zum Beispiel im «Alten Torkel» in Jenins oder im «Rössli» bei Ueli Kellenberger. Wir sind hier in der Bündner Herrschaft verwöhnt, was gute Restaurants betrifft.
Es ist wieder Raclette-Zeit: Welchen Wein empfehlen Sie dazu?
— Christian Obrecht: Einen Riesling x Silvaner. Unser «Schiefer» reift in Tonkugeln. Ich habe sie in Genua gesehen, und sie haben mir so gut gefallen, dass ich gut 30 Stück davon bestellt habe.
An den Festtagen fliesst jeweils der Champagner. Paula Bosch, die erste Sommelière in Deutschland, meint, man solle an Champagner und Schaumwein nicht nippen, sondern ihn kippen – also in grossen Zügen geniessen. Ein guter Rat?
— Francisca Obrecht: Ob man Schaum-wein lieber nippt oder kippt, ist eine Frage des Charakters, des Temperaments. Als Winzer freut es uns, wenn man beim Trinken kurz daran denkt, wie viel Handwerk und Herzblut in jeden Schluck steckt.