Unprätentiöse Eleganz
Nach einer fünfjährigen Planungs- und Bauphase konnten Christian und Francisca Obrecht pünktlich zur Wimmlet 2022 ihren neuen Keller einweihen.
Das dadurch entstandene Gehöft ist ein Gesamtkunstwerk.
TEXT: Martin Kilchmann
FOTOS: Daniel Mettler
Christian und Francisca Obrecht winzern in Jenins in fünfter Generation. Sie bewirtschaften ihre sieben Hektar Reben biologisch-dynamisch, sind seit 2017 demeterzertifiziert. Seit zwanzig Jahren sind sie gemeinsam unterwegs, stets im engen, liebevoll-kritischen Austausch, und haben dabei kontinuierlich Ballast abgeworfen und Klarheit gewonnen.
Je präziser und essentieller ihre Weine auf diesem Weg wurden, desto drängender meldete sich der Wunsch nach einem Kellerneubau. Ein ober- und unterirdisches Bauwerk, das Raum schafft fürs Handwerk, aber auch fürs unbeschwerte Zusammensein. Das patente Paar erinnerte sich an Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner von Bearth & Deplazes Architekten, die ihnen Mitte der Nullerjahre schon ihr Wohnhaus umgebaut hatten. Die Churer Architekten erstellten ihnen in gut geeichter Zusammenarbeit einen mehrteiligen Neubau, der mit seiner bis ins letzte Detail durchdachten, ästhetisch bestechenden Funktionalität paradigmatischen Charakter besitzt und jedem Winzer, der ähnliches plant, als Blaupause dienen sollte.
Die Besucher erreichen den unterirdischen, von aussen unsichtbaren Weinkeller von der Rückseite durch ein grosses, elektronisch betriebenes Tor. Sie betreten die Produktionshalle mit Stahltanks und Holzfässern, in denen die Weine vergären. Die Wände sind karminrot und nachtblau eingefärbt. Christian liebt die Arbeit auf einer Ebene. «Ich brauche diese Übersicht und dank Hubstapler und Kran benötige ich auch keine Pumpen.»
Wer auf der Webseite eine Kellerführung bucht, beginnt hier mit der Degustation: Flaschenvergorene Schaumweine (sie zählen zu den schönsten der Schweiz) sowie Riesling Sylvaner und Blanc de Noir Schiefer – ersterer maischevergoren, beide unfiltriert: zwei kernige, authentische, mineralisch begleitete Weine.
Weiter geht es durch den Barriqueschlauch. Hier lagern Chardonnay und Pinot Noir in grösstenteils neuen Burgunderpiècen. Ausgeschenkt wird der würzig-kompakte, kühl strukturierte Chardonnay. An den Wänden eröffnen grossformatige poetisch-komplexe Fotografien des Künstlerduos wiedemann/mettler überraschende Perspektiven. Sie hängen da gleichsam als die Fenster zur Welt.
Der Weg nimmt dann eine Kurve und führt durch einen sanft aufwärtsführenden, 33 Meter langen Tunnel aus ausgedienten Wasserzisternen. Christian hat ihn eigenhändig mit Freunden gegraben. In einer langen Reihe lagern hier die Tonkugeln, in denen Riesling Sylvaner und Completer heranreifen. «Sie sind von ähnlicher Porosität wie Holz, dabei allerdings geschmacksneutral», sagt Christian. Der Completer ist spektakulär. Ein Solitär unter den Completern Graubündens. Von verhaltener Kraft, eigenwillig, einzigartig. «Ein sturer Bündner Grind halt», so Francisca.
Am Ende des Tunnels ist man wieder an der Oberfläche. Alte Kinostühle laden zum Schauen, es lagern die Flaschen, es rufen die beiden Pinot Noirs – Trocla Nera und Monolith – zur Degustation. Auffällig ist deren Stilwechsel. Francisca: «Bevorzugten wir als Jungspunde Kraft und Opulenz, fanden wir mittlerweile zu Eleganz und Filigranität.» Einhergehend mit einem erfreulich moderaten Alkoholgehalt.
Zum Schluss werden die Besucher auf die weitläufige, kopfsteingepflasterte Piazza geführt. Hier lassen sich unter Zeltbaldachinen Feste feiern. Geschützt wird der Platz vom neuen erdgeschossigen, zweiflügligen Gebäude. Es beherbergt Büro, eine moderne Gastroküche, den Degustationsaal und die Remise. Alles licht und weit mit grossen Fenstern und einem auf der sichtbaren Holzkonstruktion liegenden, dunkel eingefärbten Aluminiumdach. Auf jeder Ecke des Dachs weht eine bunte, von wiedemann/mettler geschaffene Fahne. Sie symbolisieren Wasser, Hände, Trauben und Sonne und stehen sinnbildlich für die Voraussetzungen eines hochwertigen Weins.
Februar 2023